Das Geschnatter arktischer Wildgänse ist den meisten Niederrheinern im Winter so vertraut wie die Kopfbäume, die nun ohne Blattwerk ihre knorrigen Gestalten besonders imposant im grauen Nieselregen offenbaren. Beides ist heute untrennbar in unserer Region verwurzelt.
Ganze Heerscharen von Naturfreunden machen sich mittlerweile sogar bundesweit auf den Weg, um am Niederrhein dieses Wildgans-Spektakel einmal hautnah zu erleben. Wo auch sonst kann man den äußerst wachsamen Schreihälsen so nahekommen? Nirgends. Vorausgesetzt man hält sich an einige Regeln: niemals den Weg verlassen, hastige Bewegungen vermeiden, Hunde selbstverständlich anleinen. Und natürliche Signale beachten. Recken die Hochnordischen ihre langen Hälse nach oben, dann sollten sich Beobachter und Gaffer gleichermaßen geschmeidig auf den Rückzug begeben. Die Viecher vertrauen uns nämlich. Aus gutem Grund: Seit Jahrzehnten dürfen arktische Wildgänse am Niederrhein nicht mehr mit der Flinte vom Himmel geholt werden. Leider sind dennoch einige Vögel darunter, die schon unter Schrotfeuer standen. Kein Wunder: Auf dem langen Vogelzug von Grönland, Spitzbergen, Skandinavien, oder Westsibirien bis ins Winterquartier an den Niederrhein wird aus vielen Flintenläufen auf sie geschossen. Das ist auch in vielen Anrainerstaaten und sogar in einigen unserer Bundesländer noch erlaubt. Obwohl fast alle westpaläarktischen Wildgansarten in ihrem Bestand schrumpfen. Wenn im riesigen Westsibirien arme, einheimische Jäger mit dem Finger am Abzugshahn einige Wildgänse zum Verzehr einsammeln, ist das durchaus verständlich.
Zähes Geflügel aus dem Norden
Bei uns sollte man die gefiederten Tundra- und Taiga-Bewohner nicht auf dem Speiseplan haben. Zumal ja bekannt ist, dass Wildgänse aus arktischen Regionen zäh wie Hulle sind. Da wird das Fleisch im Bräter verrückt. Und das liegt nicht an niederrheinischen Köchen und Köchinnen. Nein, die schlauen Grauen ernähren sich nämlich in ihrer Brutheimat häufig auch von der „hölzernen“ Niedrigstrauch-Flora. Schon im zweiten Lebensjahr entwickeln diese Gänsearten auch dadurch ausgeprägtes Muskelfleisch. Und das ist zäh. Brauchen sie wohl auch, um die langen Touren zu bewältigen. Hauptsächlich arktische Blässgänse sind zur Winterzeit am Niederrhein zu beobachten. Aber auch Saat-, Weißwangen-, Kurzschnabel- sowie vereinzelt Ringel- und Rothalsgans werden begeistert fast jedes Jahr hier von den Vogelkundlern als Wintergäste registriert. Die „Ornis“ geben regelmäßig ihre Beobachtungen auf der professionellen Plattform „ornitho.de“ ein; die vielen Daten dienen der wissenschaftlichen Grundlagenforschung.
Und warum wird der Niederrhein von den hochnordischen Gänsen so gerne bevölkert? Weil die Bedingungen in unseren Gefilden für die rastlosen Flugakrobaten so ideal sind. Hier dürfen diese Schwimmvögel ja nicht bejagt werden, das feucht-milde Winterklima bevorzugen sie, die Störungen halten sich in Grenzen, Wasserstellen und vor allem Futter ist geradezu im Überfluss vorhanden. Letzteres hat natürlich auch mit den bei uns praktizierten landwirtschaftlichen Anbaumethoden zu tun.
Trauerspiel Massentierhaltung
In dieser Wildgans-Oase der Glückseligkeit wird momentan leider wieder einmal ein verbales Kreuzfeuer auf die Langstreckenzieher losgelassen. Sogar einige Amtsträger verdächtigen unsere Wintergäste als Auslöser für die Vogelgrippe. Das ist wissenschaftlich nicht haltbar. Vielmehr richtig ist, dass befallene Wildvögel durchaus den aggressiven Virus H5N8 weiter verbreiten können. Umgekehrt aber auch durch Hausgeflügel. Seit Monaten verfolgen Wissenschafts-Speziallisten die Ausbreitung dieses Virus auf unserem Planeten. Der übrigens für den Menschen ungefährlich sein soll. Die Ursachen, so die angesehensten europäischen Institute, sind nicht eindeutig geklärt. Das ist für die Wildvogelpopulationen wahrscheinlich sowieso nicht von großer Bedeutung. Gerade Wasservögel haben sich in der Vergangenheit immer wieder schnell von einer Epidemie erholt. Natürlich ist es grundsätzlich schade um jedes Tier, das durch einen Virus qualvoll dahinsiecht.
Ein echtes Trauerspiel hingegen ist zu beklagen, wenn durch den Virus alle Insassen von großen Geflügelställen durch Gas über den Jordan geschickt werden. Wildvögel dafür verantwortlich zu machen, ist ein billiges Ablenkungsmanöver. Man muss auch in diesem Zusammenhang fragen dürfen, ob Massentierhaltung im 21. Jahrhundert überhaupt noch vertretbar ist? Nicht nur Umweltbundesministerin Barbara Hendricks fordert für Europa eine nachhaltigere Landwirtschaft ein. Die Frau weiß wovon sie spricht; sie kommt schließlich vom Niederrhein.
Blässgänse sind die häufigsten hochnordischen Wintergäste am Niederrhein. |
Foto: Peter Malzbender |
Landende Blässgans. |
Foto: Peter Malzbender |
Im Gleichmarsch beim Weiden auf der Bislicher Insel bei Xanten. |
Foto: Peter Malzbender |
Arktische Saatgänse auf Winterweizen; sie tauchen in überschaubarer Anzahl bei |
Foto: Peter Malzbender |
Landende Weißwangengänse. |
Foto: Peter Malzbender |
Pressebericht von Peter Malzbender , Februar 2017
Richtiges Füttern hilft der Vogelwelt und ist ein Naturerlebnis. Der NABU-Wesel empfiehlt die Ganzjahresfütterung.