Ein echter Niederrheiner macht gerade den Flattermann. Also, macht sich zunehmend auf und davon. Allerdings nachweislich unfreiwillig. Der Kiebitz wird leider auch in unserer Region zu einem Vertriebenen. Dabei war er noch vor wenigen Jahren in vielen niederrheinischen Lebensräumen so verwurzelt wie Martin Schulz mit Würselen. Hauptursache für den gravierenden Rückgang sind die weiter expandierenden landwirtschaftlich-industriellen Produktionsmethoden. Die Böden werden auf ein Ertragsmaximum getrimmt. Der Artenschwund ist deshalb auch nirgends größer als auf Agrarflächen. Kiebitze und andere Wiesenvögel bevorzugen großflächig zusammenhängende Grünlandgebiete. Seggenriede, Pfeifengras- und Mähwiesen, Viehweiden, Ackerland und sogar Heidegebiete können geeignete Kiebitz-Brutareale sein. Aber auch andere Gebiete mit niedriger Vegetation wie Schotter- und sonstige Ruderalflächen werden angenommen. Immer vorausgesetzt, dass sich die Störungen insbesondere während der Brutzeit dort in Grenzen halten. Wenn ahnungslose Hundebesitzer ihre Bellos mit regelmäßigen Kommandos „hol-den-Ball“ in die Gebiete sprinten lassen, führt dies nicht selten zur Brutaufgabe von Wiesenvögeln. Freizeitjunkies werden dabei in der Regel sogar von einem schlechten Gewissen verschont, weil sie die Zerstörung oder das Verlassen einer Brutstätte für immer erst gar nicht mitbekommen. Nichtsdestotrotz sollte uneingeschränkt gelten: Der geliebte Vierbeiner darf in der Landschaft Wege nicht verlassen. Zu keiner Jahreszeit. Allerdings ist wissenschaftlich europaweit auch deutlich dokumentiert, dass die größten Bestandseinbußen bei allem was kreucht und fleucht in der Feldflur durch die moderne Landwirtschaft verursacht werden. Niederrheinische Bauern sind deshalb aber keine Bösewichte. Sie sind in der Mehrzahl abhängig von einer verfehlten europäischen Landwirtschaftspolitik. Die wiederum wird hauptsächlich mit Steuergeldern finanziert. Erfreulicherweise hat der Biolandbau im vergangenen Jahr in Nordrhein-Westfalen um 12 Prozent zugelegt. Je mehr Flächen bei uns so beackert werden, je mehr heimische Tier- und Pflanzenarten behalten dann auch ihre angestammten Lebensräume. Artenvielfalt ist meist auch ein signifikantes Erkennungsmerkmal für eine gesündere Umwelt.
Kiebitzmännchen mit prächtiger Federholle. |
Foto: Peter Malzbender |
Himmelhochjauchzend wird das von jedem Kiebitz quittiert, wenn er seine ausgiebigen Balzflüge im Überschwang lauttönend über geeignetes Terrain präsentieren kann. Der gefiederte Meister halsbrecherischer Flugkapriolen stellt dabei alle kerosinabhängigen Flugschauen geradezu in den Schatten. Sein Turbo sind schlichtweg Hormone, die von einer körpereigenen Endlospipeline scheinbar nach Bedarf gesteuert werden. Dabei möchte der Kiebitzmann seiner Auserwählten nur imponieren. Natürlich geht es wie immer darum, seine eigenen Gene weiter geben zu können. Die Federholle als Kopfschmuck ist beim Männchen besonders ausgeprägt. Doch Holle die tolle hilft gar nichts, wenn dem Kiebitzweibchen nicht ein geeignetes Zuhause angeboten wird. Flugs scharrt er mit Tangoausfallgetrippel an mehreren Stellen im Gelände flache Mulden als potentielle Neststandorte. Immer wieder stolziert er mit durchgedrücktem Federrücken, erhobenem Schopf majestätisch durchs Gelände.
Männlicher Kiebitz im Prachtkleid. |
Foto: Peter Malzbender |
Dann plötzlich wieder ein Kurzspurt mit zackigem Kehrt marsch, um bäuchlings unter vollem Einsatz seiner nach hinten rhythmisch fliegenden Stelzen eine weitere Nestmulde zu fabrizieren. Komisch anzuschauen, dass der schnieke Vogel dabei seine sonst so elegante Haltung vollkommen vernachlässigt. Ganz ohne Stress kommt das Weibchen dann irgendwann „zufällig“ vorbei und begutachtet die vorbereiteten Bodennestmulden. Die Gnädigste entscheidet natürlich, schließlich hat sie auch am meisten mit dem Brutgeschäft zu tun. Ein Vollgelege hat vier Eier. Nach knapp einem Monat schlüpfen die Kleinen. Als Nestflüchter marschieren sie gleich los und picken was die Schnäbelchen packen können. Kleines Krabbelgetier und Würmchen, aber auch Miniaturpflanzenteilchen stehen anfangs vorrangig auf dem Speiseplan.
Kiebitzweibchen mit Käferbeute. |
Foto: Peter Malzbender |
Und die Kiebitzeltern geben Obacht. Natürlich muss der Nachwuchs auch noch regelmäßig unter dem Gefieder der Altvögel gewärmt werden; das erste Dunengefieder schütz noch nicht vor tödlicher Unterkühlung. Wenn sich im Wachstumsstadium der Kiebitzküken eine lang anhaltende Dauerregenperiode breitmacht, ist das auch für alle anderen Wiesenvögel wie Feldlerche, Schafstelze und Co. mit herben Verlusten verbunden.
Ganz vertraut Mutter Kiebitz mit Küken. |
Foto: Peter Malzbender |
Kiebitzweibchen hudert ein Küken in ihrem Brustgefieder. |
Foto: Peter Malzbender |
Kiebitze brüten übrigens am erfolgreichsten in kleinen Kolonien. Nähern sich Fressfeinde aus der Luft oder vom Boden, werden diese gemeinsam von allen Kiebitzen aus der Umgebung attackiert. Regelmäßig sogar mit Erfolg. Bei einem Wissenschaftsforum in Kleve wurden die nächtlichen Raubsäuger als Hauptfressfeind der Wiesenvögel deklariert.
Beim Verleiten stellt sich der Kiebitz flügellahm, um Fressfeinde von seinen |
Foto: Peter Malzbender |
80 Prozent solcher Verluste gehen auf ihr Konto. Allen voran der Fuchs, aber auch Iltis, Hermelin und sogar einige invasive Arten sind beteiligt. Dies haben Untersuchungen in vielen Ländern Europas einheitlich ergeben. Die Natur würde wahrscheinlich alles ausgleichen können, so die Wissenschaftler. Für Bestandsverluste, die durch die bei uns vielerorts praktizierte intensive Landwirtschaft entstehen, sei hingegen kein Ausgleich in Sicht.
Der Kiebitzbestand wird in NRW zwischen 16 000 und 23 000 Brutpaare geschätzt. Das sind 50 Prozent weniger als noch vor 20 Jahren. Ein katastrophaler Rückgang. 117 000 Tonnen Pestizide sind allein im vergangenen Jahr in unserem Bundesland auf landwirtschaftliche Flächen ausgebracht worden. Dies vernichtet auch unglaubliche Mengen von Kleingetier, die dann in der Nahrungskette wieder vielen anderen Lebewesen fehlen; natürlich auch unseren Wiesenvögeln. Landesumweltminister Johannes Remmel möchte den Gifteinsatz schnellst möglich auf die Hälfte reduzieren. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) fordert seit Jahren, dass zumindest in ausgewiesenen Schutzgebieten sofort keine Agrochemie mehr eingesetzt werden darf. Selbst dort ist sonst der massive Artenschwund nicht zu stoppen. Ihren Frankreichurlaub will Ihnen niemand vermiesen; aber nachdenklich machen. In diesem fantastischen Land werden in jedem Jahr noch 400 000 durchziehende Kiebitze aus Nord-, Ost- und Westeuropa für die „Feinschmecker“ abgeknallt. Trotz europaweiter Einsprüche. Mahlzeit. |
Ein Bericht von Peter Malzbender, Mai 2017
Richtiges Füttern hilft der Vogelwelt und ist ein Naturerlebnis. Der NABU-Wesel empfiehlt die Ganzjahresfütterung.