Es ist schon erstaunlich und immer noch als Ausnahme zu werten, dass in einer Zeit, wo durch menschliches Versagen täglich immer mehr Tierarten aussterben und unsere Umwelt immer ärmer wird, sich eine neue Vogelart ansiedelt.
Die ursprüngliche Heimat dieser nordischen Drossel ist die Sibirische Taiga.
Vor etwa 200 Jahren begann ihre Ausbreitung in den südwestlichen Raum Europas. Warum dieser Expansionsstrom überhaupt zustande kam, haben unsere Wissenschaftler bis heute nicht eindeutig klären können. Klimaveränderungen, Populationsdruck, aber auch die geringe Ortstreue, eine spezielle Eigentümlichkeit dieser Vogelart, sind als Ursache diskutiert worden.
Die Einwanderung der Wacholderdrossel im Kreis Wesel begann etwa Ende der 70er Jahre. 1979, erster Brutnachweis im Raume Baerl/Moers (Kuinke, Zentzis); 1981, erster Brutnachweis in Rheinberg/Wallach (Laakmann) sowie auf der Bislicher Insel (Gaßling/Gasthaus).
Diese inselartigen Brutstätten sind wahrscheinlich wieder erloschen. Isolierte Brutplätze weit vor den Besiedlungszonen werden meist nach ein bis zwei Jahren wieder aufgegeben (Rommel 53).
Anders ist es mit den Brutvorkommen im Raum Hünxe/Wesel. 1983 sind dort junge Wacholderdrosseln gesichtet worden (Laakmann/Neuwald). Auch in den Jahren 1984 und 1985 sahen wir dort in der Brutzeit mehrere Trupps dieser schönen Drosselart. Diese Brutkolonie scheint sich stabilisiert zu haben, denn im April/Mai 1986 brüteten dort mindestens 14 Wacholderdrosseln (Biela/Laakmann/Neuwald). Man kann also davon ausgehen, dass dieser Wintergast im Kreis Wesel als Brutvogel heimisch geworden ist.
Den jüngsten Brutnachweis bestätigt K. H. Gaßling. Bei einer seiner sonntäglichen Exkursionen entdeckte er Anfang Juni 1986 im Rheinberger Ortsteil Orsoy eine kleine Brutkolonie mit einigen wenigen Nestern.
Es ist daher auch nicht auszuschließen, dass bei einer intensiveren Untersuchung des Kreisgebietes noch mehrere dieser Kleinkolonien nachgewiesen werden.
Dieser Amselgroße Vogel mit dem wissenschaftlichen Namen Turdus pilaris hat einen graublauen Kopf und ein ebenso farbiges Bürzel. Rücken und Flügel sind kastanienbraun, die Brust rosinenfarbig mit schwarzen Punkten. Ihr Schwanz ist dunkel bis schwarz.
Der Gesang, auch im Fluge vorgetragen, ist leise schwätzend und zwitschernd. Aber auch ein lautes „schack – schack – schack“, meist in Erregung, ist von ihr zu hören.
Die Bruthabitate der Wacholderdrossel sind sehr verschiedenartig: Baumbestandene Flussauen, lichte Wälder, Feldgehölze, Obstplantagen und auch Stadtparks. Im Schweizer Alpenraum werden sogar neuerdings baum- und strauchlose Gebiete besiedelt (Furrer 1980).
Aber eines haben wohl die meisten Bruträume gemeinsam - die Nähe feuchter Wiesen. Es liegt also nahe, dass das Regenwurmangebot ein sehr wichtiger Faktor bei der Wahl des Brutgebietes ist (Haas 1980).
Wissenschaftler haben festgestellt, dass die Nahrung der jungen Drosseln zu über 50 % aus Regenwürmern (Lumbriciden) besteht.
Bei der Nistplatzsuche beteiligen sich beide Partner. Die Baumart scheint eine sekundäre Rolle zu spielen. Bevorzugte Nistplätze sind Astgabelungen. Bei der Hünxer Brutkolonie standen alle 14 Nester in Astgabelungen. Acht Nester waren in Ebereschen und sechs Nester in Eichen gebaut. Sie befanden sich etwa 2,50 bis 6 m hoch.
Der Abstand der einzelnen Nistbäume betrug etwa 10 bis 15 Meter. Auch stand nie mehr als ein Wacholderdrosselnest in einem Baum.
Das Nest wird vom Weibchen allein gebaut. In seiner Größe entspricht es etwa einem Amselnest, ist aber meist heller, was mit der Art des Nistmaterials zusammenhängt. Trockene Gräser werden mit feuchter Erde zusammen verbaut, so dass ein sehr tiefnapfiges Nest entsteht, welches mit Lehm ausgestrichen und mit Gras ausgepolstert wird.
In diesem Nest bebrütet das Weibchen alleine vier bis sechs (sieben) Eier etwa 12 bis 14 Tage lang.
Nach dem Schlüpfen der Jungvögel werden diese von beiden Eltern betreut. Die Nestlingszeit beträgt etwa 14 Tage. Nach dem Verlassen des Nestes halten sich die jungen Drosseln vorwiegend im Geäst auf. Dort werden sie weiter von den Altvögeln versorgt.
Mit fortlaufender Verbesserung ihrer Flugfertigkeit folgen sie ihren Eltern dann zur Nahrungssuche auf den Wiesen. In den Ruhepausen sitzen sie jetzt auch lieber unter Sträuchern und Buschwerk. Nachdem die Jungen selbständig geworden sind, verstreichen sie in der näheren und weiteren Umgebung. Im Oktober verlassen sie ihre Heimat dann endgültig.
Während der Brutzeit ist die Wacholderdrossel im Brutgebiet ein sehr nervös wirkender Vogel. Ihr warnendes „Schackern“ hat schon manchen Brutplatz verraten. Andererseits wird aber durch dieses „Schackern“ die ganze Brutkolonie alarmiert und der vermeintliche Feind, etwa Elster, Rabenkrähe oder Bussard, angehasst.
Gemeinsam fliegen sie dann den Störenfried an und bedrängen ihn. Die Erregung der Wacholderdrossel steigert sich bei den Anflügen so sehr, dass es bei ihnen zu Darmentlehrungen kommt. Da diese so genannten „Kotbomben“ in Flugrichtung fallen, wird mancher Treffer beim vermeintlichen „Nestplünderer“ gelandet.
Trotzdem kann ich mich nicht mit der These anfreunden, Wacholderdrosseln würden bewusst mit Kot schießen, um ihren Angreifer flugunfähig zu machen bzw. zu vernichten. Dieses nervöse Koten ist wahrscheinlich ein ganz normaler biologischer Vorgang. Einige Beispiele dazu:
1981 beobachtete ich im Wallacher Brutgebiet eine Wacholderdrossel, die laut schackernd von ihrem Nest flog. Ohne dass ich einen Flug, oder Bodenfeind entdecken konnte, ließ sie plötzlich ihre „Kotbomben“ fallen.
Ein anderes Mal überflog eine Rabenkrähe ein Kiebitzbrutgebiet. Die Krähe wurde sofort von einem Kiebitz angegriffen und bedrängt. Bei diesen Attacken ließ auch der Kiebitz Kotspritzer fallen. Ähnlich erging unserem Mitglied und engagierten Naturschützer H. Neuwald. Er beobachtete mit seinem Spektiv, das nur auf einem Stativ montiert war, Flussseeschwalben, die in etwa 80 m Entfernung auf zwei Brutflößen ihre Jungen mit kleinen Fischen fütterten. Plötzlich wurde er von zwei Flussseeschwalben attackiert. Nach drei lautstarken Anflügen wurde es Neuwald sehr ungemütlich, und er zog sich in ein etwa 2 m entferntes Gebüsch zurück.
Die Anflüge verstärkten sich und dabei wurden die Flussseeschwalben immer erregter. Ihr Ziel war die aufgebaute Optik. Neuwald zählte 15 bis 17 Anflüge. In ihrer großen Erregungsphase ließen sie dann ihre Kotbomben fallen. Das wertvolle Sichtgerät sah anschließend ganz schön bekleckert aus.
Mit diesen wenigen Beispielen wollte ich nur noch einmal verdeutlichen, dass nicht nur die Wacholderdrosseln, sondern auch andere Vogelarten mit „nervösem Koten“ auf Störungen im Brutgebiet reagieren.
Sind die Brutverluste der Wacholderdrossel schon sehr hoch - bis zu 60 % und mehr - erwartet sie in ihren Überwinterungsgebieten, die hauptsächlich in Südwesteuropa liegen, ein starker Jagddruck. In Frankreich z. B. stehen sie auf der Liste der jagdbaren Arten (Amtsblatt 22. August 1979).
Bei Ringfundmeldungen aus diesen Gebieten ist als Todesursache meist „getötet“, „erledigt“ oder „erbeutet“ vermerkt.
Als Krammetsvögel werden diese Singvögel dann zu Pasteten verarbeitet und in Feinschmeckerlokalen feilgeboten.
Die Drosseljagd scheint im Bewusstsein der dortigen Bevölkerung noch stark gefestigt zu sein.
Ein in Frankreich geläufiges Sprichwort sagt: „Wenn man keinen Krammetsvogel hat, kann man auch eine Amsel nehmen“. Ich möchte es dem Leser selbst überlassen, dieses unsinnige Töten von Singvögeln in Europäischen Kulturländern zu bewerten.
Die in unseren Breiten überwinternden Wacholderdrosseln kommen wohl alle aus nördlichen und östlichen Ländern. Im letzten Viertel des Jahres kann man sie bei uns in Obstgärten beobachten. Die letzten Äpfel, die noch an den Bäumen hängen. Gehören dann zu ihrem Speiseplan. Ein etwa 3.000 qm großer Obstgarten in Rheinberg/Borth wurde im Winter immer wieder von größeren Trupps dieser Art angeflogen.
Dem Duft angefaulter Äpfel konnten sie einfach nicht widerstehen. Einmal zählte man etwa 300 Wacholderdrosseln vergesellschaftet mit Meise, Buchfink, Bergfink, Misteldrossel und Amsel. Sogar Fasane, die abends dort ihre Schlafbäume aufsuchten, scheuten sich nicht, die Reste der Obsttafel aufzupicken.
Hoffen wir, dass sich der Bestand dieser lebhaften Drosselart am Niederrhein weiter stabilisiert, und dass sie die hohen Brutverluste durch eventuelle Zweitbruten kompensieren kann. Hoffen wir weiter, dass auch in einigen Ländern Süd- und Westeuropas ein Sinneswandel eintritt und das unnötige Töten von Singvögeln gesetzlich untersagt wird, so dass ihre Wintergäste auch wirklich als „Gäste“ in diesen Ländern leben können.
Richtiges Füttern hilft der Vogelwelt und ist ein Naturerlebnis. Der NABU-Wesel empfiehlt die Ganzjahresfütterung.